Ein Gespräch über die Zukunft des Wohnens

Die Verdörflichung der Stadt und die Verstädterung des Landes – eine Zukunftsvision? Ein Gespräch zwischen Matthias Horx und Franz-Josef Lickteig
  • Datum der Veröffentlichung: 24 Februar 2021
Unser Ansatz zum Thema
BPD Lickteig Horx Zukunft Des Wohnens

Prosperierende Städte haben über Jahre eine enorme Sogwirkung entfaltet. Der Megatrend Urbanisierung löste einen Bauboom aus, der immer noch anhält. Doch in den urbanen Räumen werden die Entwicklungsflächen für den Wohnungsbau knapper. Und teurer.

Was bedeutet das für den Lebensraum Stadt? Und welche Effekte hat die Pandemie auf den Megatrend Urbanisierung?

Matthias Horx, Publizist, Trend- und Zukunftsforscher, und Franz-Josef Lickteig, Deutschlandchef der BPD Immobilienentwicklung GmbH, über die Zukunft urbaner Lebensräume.

Viele Menschen fragen sich, ob die Welt nach Corona jemals wieder so sein wird, wie sie vorher war? Was antworten Sie darauf?

HORX:
Es wird nie mehr so sein, wie es einmal war. Was wir aktuell erleben, ist eine Tiefenkrise, die alles durcheinanderwirbelt – unseren Alltag ebenso wie das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die Wirtschaft, Organisationen ... Was wir aus der Krisenforschung wissen: Die neuen Erfahrungen, die Menschen in solchen Situation machen, haben einen starken Einfluss auf Verhaltensweisen und können zu neuen Lebensformen führen, die eine Gesellschaft robuster und resilienter werden lässt. Dass viele – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – inzwischen gelernt haben, auch von zu Hause aus zu arbeiten, wird beispielsweise bleiben.

LICKTEIG:
Das mobile Arbeiten werden wir in der Tat nicht mehr zurückdrehen – auch weil damit ein enormer Wohlstandsgewinn einhergeht. Die Pandemie verstärkt allerdings auch eine Entwicklung, die wir bereits seit längerem wahrnehmen: Die Attraktivität unserer Großstädte nimmt aus ganz unterschiedlichen Gründen ab. Die Sicherheit im öffentlichen Raum ist ein hohes Gut. Es hat aber die ersten Kratzer abbekommen. Die klimatischen Bedingungen in den warmen Sommermonaten sind nicht mehr ideal. Wenn es nicht gelingt, dringend notwendige Maßnahmen zu ergreifen, werden wir eine Segregation der Bevölkerung erleben, weil die Städte die nachrückenden Bildungsbürgerschichten an das Land verlieren. Damit sind enorme soziale Herausforderungen verbunden.

Wie passt die beschriebene Entwicklung mit dem Megatrend Urbanisierung zusammen?

LICKTEIG:
Die Nachfrage nach Wohnimmobilien ist ungebrochen – auch weil es viele Menschen gibt, die ihr Geld aufgrund der gegenwärtigen Rahmenbedingungen gezielt in Betongold investieren. Da steht die Amortisation nicht an erster Stelle.

Hinzu kommt die Nachfrage von außen durch Menschen, die gerne in Deutschland leben möchten und in dem Erwerb von Wohneigentum eine Möglichkeit sehen, hier irgendwann einmal Fuß zu fassen. Wir könnten deutlich mehr verkaufen, wenn wir mehr Produkte hätten. An Käufern mangelt es also nicht. Was sich jedoch verändert, ist die Struktur der Nutzer. Wenn mehr Kapitalanleger in der Stadt kaufen, orientieren sich Eigennutzer zunehmend nach draußen. Dieser Crowding-Out-Effekt ist beunruhigend, denn eine Stadt braucht heterogene Strukturen, um lebendig zu bleiben.

HORX:
Krisen haben eine katalytische Funktion, in der latente Trends zum Durchbruch dringen und sich Bedürfnisse äußern, die vorher schon da waren, aber eher noch im Alten verschwunden waren. Dass Städter in Peripherien ziehen, lässt sich auch in anderen Ländern beobachten. In Amerika ziehen die die Leute aus den großen Städten in Transission-Towns, in kleinere bzw. mittlere Städte oder Regionen, die einen hohen Naturanteil haben. In Deutschland nennen wir solche Orte die progressive Provinz. Das sind attraktive Lebensräume, mit einer guten Infrastruktur, einem guten Internetanschluss und einem guten Kulturangebot.

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Was bedeutet das für die Zukunft unserer Städte?

HORX:
Die große Urbanisierung wird durch die Krise gebrochen. Das heißt nicht, dass die Menschen nicht mehr in die Stadt wollen. Aber die großen Zuwachsraten, die für die Städte auch ein riesiges logistisches Problem darstellen, die wird es in vielen Ballungsgebieten nicht mehr geben – auch weil sich die Arbeitswelt verändert. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass wir jetzt alle von Zuhause aus arbeiten werden. Das ist auf Dauer weder durchhaltbar noch sinnvoll. Aber es wird ein Schema geben – zwei Tage im Büro, zwei Tage Zuhause und vielleicht ein Tag gar nicht mehr. In Skandinavien ist die mittlere Arbeitszeit durch mobiles Arbeiten inzwischen auf 30 Stunden gesunken.

LICKTEIG:
Die Relationen von „drinnen und draußen“ verändern sich. Im Augenblick ist Grund und Boden im ländlichen Raum noch günstiger. Man kann sich also mehr Raum für weniger Geld leisten. Familien in der Gründungsphase kehren schon heute der Stadt den Rücken zu. Die Wohnpräferenzen der bürgerlichen Mittelschicht werden sich weiter verschieben. Flächendeckendes, schnelles Internet wird die Egalisierung der Lebensräume weiter beschleunigen. Aber auch das autonomen Fahren. Wir werden in Zukunft integrierter leben, wohnen, arbeiten und landwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren. Ich zeichne in diesem Kontext deshalb gerne das Bild von der „Landschaftsstadt“. Die Informationstechnologie und neue Transportmöglichkeiten ebenen den Weg zur Dezentralität. Dadurch besteht nicht mehr der Zwang, alles zentral organisieren zu müssen.

HORX:
In einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen: Bis wir tatsächlich das autonomen Fahren sehen, wird es noch sehr, sehr lange dauern. Ich würde nicht rein auf technologische Entwicklungen abstellen, denn es geht vor allem um die Bedürfnisverschiebung von Menschen. Wir sprechen von Rurbanisierung – also die Verdörflichung der Stadt und Verstädterung des Dörflichen. Das mobile Arbeiten wird an Dienstleistungsstandorten wie Frankfurt am Main zu einem riesigen Überstand an Büroflächen führen. Viele Gastronomiebetriebe und Einzelhändler werden verschwinden.

Was wird mit den Flächen passieren, die keiner mehr braucht?

HORX:
Wir werden uns mit ganz vielen Fragen der Konversion beschäftigen müssen. Es wird vielfältige Nutzungsformen geben, die alten Trennlinien verschwinden und neue Stadtstrukturen entstehen. In Frankreich spricht man inzwischen von einer 15-Minuten-Stadt, bei der man im Falle eines Lockdowns nicht mehr in einer toxischen Siedlungsstruktur vereinsamen kann. Wir werden auch mehr Co-Living-Konzepte sehen, wie das Siedlungsprojekt Hunziker-Areal in Zürich. Dort lassen sich alle Lebensformen auf einem verdichteten Raum abbilden – von der studentischen WG über die Single- bis zur Familienwohnung. Es gibt zudem Restaurants, ein Hotel, Arbeitsplätze. Es ist wie in einem italienischen Dorf.

LICKTEIG:
Ich pflichte Ihnen bei, es wird sicherlich eine Verdörflichung von Stadtteilen geben. Aber nach dieser Krise wird die Einkaufsinfrastruktur und damit das Wohlgefühl unserer Städte deutlich nachlassen. Was macht dann die Attraktivität einer Stadt noch aus? Ich mache mir Sorgen um die nächste Generation. Um die, die ihr Studentenleben hinter sich haben und eine Familie gründen. Die ziehen raus. Eine soziokulturelle Entmischung ist nicht wünschenswert. Und damit müssen sich die Kommunen auseinandersetzen.

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