„Wolkenkratzer stehen grüner Stadt nicht im Wege“
In den rasch wachsenden Städten und Metropolen verschlingen graue Wolkenkratzer das Grün und den Raum. Das muss und kann sich ändern, findet Richard Hassell von dem erfolgreichen Büro WOHA Architects in Singapur. Während des dreitägigen World Architecture Festivals in Berlin besuchte Hassell die neue BPD Niederlassung am Kurfürstendamm und besprach seine Ideen mit dem Geschäftsführer von BPD Immobilienentwicklung, Franz-Josef Lickteig. Während die herbstlichen Regenschauer unablässig vor der Glasfassade des Büros entlangziehen, liegen Fotos der grünen WOHA-Projekte im sonnigen Singapur auf dem Tisch. Der immer zum Lachen aufgelegte Australier blättert sie zusammen mit Lickteig durch. Währenddessen erzählt Lickteig von einem großen BPD-Projekt in Deutschland, das 350 Wohnungen umfasst. Er vermutet, dass in Asien in anderen Dimensionen gedacht wird und Hassell bestätigt das. „Vor allem in China sind die Pläne oft sehr massiv. Man verfällt als Mensch in die Anonymität. Dort fängt es oft erst bei tausend Wohneinheiten an.“
960 Wohnungen
Wie ist mit dieser Massivität und Anonymität umzugehen? Gerade solche Herausforderungen fesseln ihn, erklärt er. Mit SkyVille@Dawson wollten die Architekten beispielsweise zusammen mit der Stadt Singapur die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus in der Metropole ausloten. „Wir wollten vor allem erschwingliche Wohnungen bauen“, meint Hassell zu dem 960 Wohnungen umfassenden Megaprojekt, das Ende 2015 fertiggestellt wurde. Das bedeutete auch, dass keine mechanische Lüftungsanlage eingebaut wurde. Die Mieter müssen selbst für eine Klimaanlage sorgen. „Dadurch kann wenig schiefgehen. Die Instandhaltungskosten fallen geringer aus, und die Mieten bleiben bezahlbar.“ Das sind nach Ansicht von Hassell zwei wichtige Punkte. „In Asien ist die Instandhaltung oft ein Problem, und das lässt sich vermeiden, wenn keine komplexen Systeme eingebaut werden. Außerdem muss es für eine Durchschnittsfamilie erschwinglich bleiben.“ Gleichzeitig sollte die Schlichtheit den Bewohnern kein unangenehmes Gefühl vermitteln. Der Plan sah auch Gemeinschaftsräume, viel Grün und sogar einen 400 Meter langen Joggingpfad vor. Die Architekten bekamen oft zu hören: „Das ist großzügig angelegt, aber ist es auch finanzierbar?“ Hassell: „Ja, wir konnten es so realisieren, weil wir es schlicht gehalten haben.“
Privatsphäre in Gefahr
„Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt. Das bringt die Gefahr von Vereinsamung mit sich“, meint Hassell. Er sieht, wie in Asien zahlreiche Hochbauten nach amerikanischem Muster errichtet werden. „Diese Gebäude sind so gestaltet, dass man nie seinen Nachbarn zu begegnen braucht. Man läuft von der Garage gleich in die Wohnung. Privatsphäre ist ein wertvolles Gut, aber zu wenig Kontakt zu den Nachbarn ist dem eigenen Lebensumfeld abträglich.“
Bei WOHA wird in den eigenen Entwürfen nach Möglichkeiten gesucht, wie Menschen einander auf angenehme Weise begegnen können. „Jeder Wolkenkratzer ist eine Stadt im Kleinen. Es muss dort Stellen geben, an denen man unbefangen einem Fremden begegnen kann, ohne sich eingeschlossen zu fühlen. In einem Park muss man deshalb für mehrere Eingänge sorgen.“ Dieses buchstäbliche Parkgefühl setzen die WOHA Architekten in ihren Projekten ein. Seit der Gründung 1994 spielt Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, erklärt Hassell. „Nach der Ölkrise fanden die Umweltwissenschaften kurzfristig viel Beachtung an unseren Universitäten. Das hat uns schon während unseres Studiums angesprochen, und deshalb steht bei allen unseren Projekten die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.“
Privatsphäre ist ein wertvolles Gut, aber zu wenig Kontakt zu den Nachbarn ist dem eigenen Lebensumfeld abträglich.
1.100 Prozent mehr Parkfläche
Die graue Farbe, die harten Steine, die Glasflächen: In den rasch expandierenden Metropolen ist die Natur weit weg. Ein anderes Projekt, das Oasia Hotel Downtown in Singapur, steht in einer solchen grauen Umgebung, umringt von Wolkenkratzern. Durch die Verwendung roter Fassadenelemente und grüner Pflanzen, die an der Fassade emporwachsen, verleiht das Hotel der ganzen Umgebung automatisch eine andere Gestalt, einen anderen Charakter. „Wenn die Pflanzen ihre Blüten und Blätter abwerfen, landen sie unten und bedecken den Gehweg“, erzählt Hassell. Der Bau von Hochhäusern braucht also nicht auf Kosten der Bepflanzung zu gehen, denkt der Architekt. „Wenn wir den Auftrag bekommen, eine bestimmte Fläche als Grünfläche zu reservieren, versuchen wir immer, das noch deutlich zu übertreffen.“ Hassell betrachtet es als seine Pflicht, die Umgebung mit seinen Gebäuden zu verschönern. „Bei diesem Hotel haben wir 1100 Prozent mehr Grünfläche geschaffen als verlangt war. Das erreichten wir mit vertikalen Flächen und durch die Einrichtung von Stellen, an denen man etwas geschützter ist und sich mit anderen treffen kann.“
Gebäude erzählt Geschichte
Begegnung ist auch ein wichtiger Aspekt bei Kampung Admiralty, einem weiteren Projekt in Singapur, das in Berlin in der Kategorie Commercial Mixed-Use (Future Projects) ausgezeichnet wurde. Hier werden sieben verschiedene Ämter, ein Ärztezentrum, eine Kindertagesstätte, ein Pflegeheim für Senioren sowie Geschäfte unter einem Dach untergebracht. „Viele Menschen in dieser überfüllten Metropole sagen, dass sie den ‚Kampung‘ vermissen. Kampung ist die Bezeichnung für eine dörfliche Gemeinschaft.“ Das wollte WOHA in den Komplex integrieren, der einen schichtweisen Aufbau wie ein riesiges Sandwich aufweist, mit einem Park als grünem Topping. „Die meisten Leute empfinden den Gang zu einem Amt als unangenehm, aber in den Kampung Admiralty geht man gern.“ Das liegt nach Ansicht von Hassell auch daran, dass das Gebäude eine Geschichte erzählt. „Und die Besucher spüren, dass diese Geschichte sie selbst betrifft.“
Windfang als Klimaanlage
In Bangladesch befindet sich die BRAC University, die eine Oase in der überfüllten Hauptstadt Dhaka sein soll. Die Stadt ist stark im Kommen und die Bevölkerung wächst dort rapide. „Es ist ein Wirrwarr aus Lkws, Bussen, Tieren, Rikschas und Fahrrädern. Man wird verrückt in den Straßen“, erzählt der Architekt. Die Aufgabe für sein Büro bestand darin, eine Lösung für die extremen Klimaschwankungen zu finden. Große, energieverschlingende Klimaanlagen sollten vermieden werden. „Ein mit Transsolar in München entwickeltes Hybrid-Kühlsystem, das mit einem Gebläse und gekühlter Luft arbeitet, wird nur in den beiden wärmsten Monaten eingesetzt. Den Rest lösen wir konstruktiv, indem wir das Gebäude Wind fangen lassen.“ Auch das Projekt Vertical Stacked City in Shenzhen in China ist eine Antwort von WOHA auf die hohen, grauen Wolkenkratzer. „In China ist alles groß, man verliert sich in der Masse“, meint Hassell. „Die Stadt wird unmenschlich, es gibt keinen Raum mehr für Intimität.“ Bei dem Entwurf des 56-stöckigen Geschäftszentrums wurden deshalb außer großen Räumen auch feinmaschige Strukturen eingearbeitet. „Die schmalen, alten Straßen von früher sorgen für menschliche Proportionen.“
Gebäude als Landschaft
Bei der Ausarbeitung eines Entwurfs betrachtet WOHA ein Gebäude wie eine Landschaft. Als Beispiel hierfür nennt Hassell das ParkRoyal Hotel in Singapur: „Es sind die natürlichen Formen und das Grün, die die Menschen anziehen.“ Das kommt seiner Meinung nach auch in der Gestaltung des Hotelparkplatzes zum Ausdruck. Die Autos stehen verdeckt zwischen dem Grün. „Aus größerer Entfernung sieht es aus wie ein schöner Garten“, meint Hassell. „Nur wenn man sein Auto dort abstellt merkt man, dass es ein Parkplatz ist.“ Meistens entscheiden sich Architekten für eine Tiefgarage, in die ständig Frischluft eingeblasen werden muss. Er findet dies Energieverschwendung. „Außerdem wirkt eine Tiefgarage beengend – kein Ort, an dem man sich gern aufhält.“
Tiefgaragen sind Energieverschwendung und wirken beengend – kein Ort, an dem man sich gern aufhält.
Stadtplanung des 21. Jahrhunderts
Der Gedanke, ein Gebäude als Landschaft zu betrachten, weckte das Interesse der WOHA-Architekten für Stadtplanung. Sie arbeiten an einem Buch über die Neugestaltung der gesamten Umgebung. „Wir bleiben im 20. Jahrhundert verhaftet, weil wir innerhalb der Richtlinien der Nachkriegsjahre denken“, meint Hassell, „als ob es keine neueren Erkenntnisse gäbe.“ Früher gab es gute Gründe Arbeiten und Wohnen voneinander zu trennen, um möglichst weit weg von den schmutzigen Fabriken leben zu können. „Heute haben wir andere Probleme. Wir wollen Wohnen und Arbeiten im Gegenteil miteinander kombinieren, um Staus entgegenzuwirken. Wir fragen uns, welchen Platz die Natur noch in den Metropolen bekommt.“ Deshalb arbeitet Hassell in dem Buch neue Prototypen der Stadtplanung aus. „Die Stadtplanung des 21. Jahrhunderts muss dreidimensional sein, um die aktuellen Probleme hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Energie und Natur lösen zu können.“
Grüne Städte sind der Schlüssel
Die Verwendung von viel Grün in den Entwürfen von WOHA lässt sich gut auf Europa übertragen, denkt Lickteig. „Die Begrünung von Projekten ist heutzutage vielleicht der Schlüssel zum Gewinn einer Ausschreibung an innerstädtischen Standorten.“ Er würde gern wissen, wie der Architekt seine Vision in Europa umsetzen würde, wo die Vegetationsphasen andere sind und die Bevölkerungsdichte ein wichtiger Aspekt ist. Wie dicht darf eine Stadt werden? Die geografische Lage spielt dabei eine wichtige Rolle, erklärt Hassell. „Das hängt mit dem Klima zusammen.“ Er macht einen Vergleich mit den sibirischen Wäldern – wo die Bäume weit auseinander stehen – und den schier undurchdringlichen asiatischen Regenwäldern. „Das Sonnenlicht entscheidet, wann sich etwas als zu voll anfühlt. In nordeuropäischen Städten muss man deshalb mehr Platz zwischen hohen Gebäuden lassen.“
Das Sonnenlicht entscheidet, wann sich etwas als zu voll anfühlt. in nordeuropäischen Städten muss man deshalb mehr Platz zwischen Gebäuden lassen
Außen und Innen
Woher kommt es, dass Hongkong so lebendig wirkt und Singapur viel ruhiger, während beide Städte typische Hochhausstädte sind, fragt sich Lickteig. „Als Architekt kann man das beeinflussen“, erläutert Hassell. „Bewohner kleiner Wohnungen haben die Neigung, sich mehr außerhalb ihrer Wohnung aufzuhalten. Man muss dabei eine Balance finden. Wenn alle in ihrer Wohnung bleiben, bekommt man eine leere, ungemütliche Stadt.“ Bei seinen Entwürfen spielt der Architekt mit dem Konzept des „Außen und Innen“. „Ich frage mich oft, wie ich ein Gebäude für die Außenwelt öffnen kann und umgekehrt.” Hassell findet den Wechsel der Jahreszeiten in Europa eine interessante Herausforderung. „Hier würde ich mit einem Wintergarten als natürlichem Puffer zwischen dem Innenbereich und der wechselhaften Witterung draußen arbeiten. Kirschbäume können beispielsweise mit ihrer Frühjahrsblüte einen schönen Effekt hervorrufen.“