„Wir möchten zur Lösung beitragen“

Warum ausgerechnet die größte Landwirtschaftsbank der Welt dem niederländischen Wohnungsmarkt weiterhelfen kann? Der Vorstandsvorsitzende der Rabobank Wiebe Draijer gibt hierauf Antwort: „Mit einem Gebietsentwickler wie BPD können wir unsere sozialen Ziele verwirklichen.“

Auch der Spitzenmanager einer der größten niederländischen Banken muss während der Corona-Krise notgedrungen ins Homeoffice. Und das geht zu seiner eigenen Überraschung dank digitaler Anwendungen wie Zoom, Teams und Skype eigentlich sehr gut. Natürlich hofft auch Wiebe Draijer, dass wir Covid-19 möglichst bald hinter uns haben, wenngleich er denkt, dass die Welt dann nicht mehr dieselbe sein wird wie Anfang 2020. Aber an Zukunftsprognosen wagt er sich nicht gerne. Eines steht fest: Auf dem niederländischen Wohnungsmarkt wird sich einiges ändern müssen, um einen völligen Stillstand zu vermeiden. Es müssen eine Million neue Häuser gebaut werden, und wenn sich die demografischen Trends nicht ändern, wahrscheinlich noch mehr. Gleichzeitig wird darauf gepocht werden, den besonderen Charakter der niederländischen Landschaft zu erhalten.

Dass das eine komplexe Aufgabe wird, dessen ist sich Draijer bewusst. „Natur und Landwirtschaft konkurrieren miteinander um dieselben Flächen, genau wie Klimaziele, Energiewende und Wohnungsbau. Anstelle von Verdrängung sollten wir versuchen, sie miteinander zu verbinden.“ Er ist froh, dass er – als CEO einer der größten Banken der Niederlande – hierzu beitragen kann. Und das sogar sehr konkret in Form von Backsteinen. Die Rabobank vergibt nämlich nicht nur Hypothekendarlehen, sondern entwickelt über ihre Tochtergesellschaft BPD auch selbst Wohnviertel. Draijer: „Verglichen mit der großen Bekanntheit der Rabobank operiert BPD bislang zwar eher im Stillen, leistet aber einen Beitrag, der sehr gut zu der Mission und den Zielen unserer Genossenschaft passt.“ Mit BPD verfügt die Rabobank als einzige niederländische Bank über einen eigenen Gebietsentwickler.

Wiebe Draijer, Vorstandsvorsitzender der Rabobank
Foto: Erik Smits
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Probleme im niederländischen Wohnungsmarkt?

„Als Erstes gibt es zu wenige Neubauwohnungen, was – zusammen mit den attraktiven Hypothekenzinsen – die Immobilienpreise in die Höhe treibt. Für 2020 erwarten wir einen durchschnittlichen Preisanstieg von 4,5 Prozent. In den Niederlanden wird das Defizit Ende des Jahres auf den Rekordwert von 350.000 Wohnungen angestiegen sein. Langfristig kann dieser Wert sogar eine Million oder mehr erreichen. Dadurch wird ein Eigenheim für immer mehr Niederländer unerreichbar, insbesondere für Erstkäufer.

Gleichzeitig gibt es im Mietmarkt ein massives Problem. Auch hier herrscht ein chronischer Mangel, wodurch zu wenig Bewegung entsteht und die Mieten steigen. Für junge Berufstätige wird es wegen des geringen Angebots und der hohen Preise immer schwerer, eine Wohnung zu kaufen. Andere junge Leute finden dadurch wiederum keine Mietwohnung. Viele Mieter bleiben – oft unfreiwillig – in ihrer Mietwohnung wohnen und können nicht näher zu ihrer Arbeit ziehen, obwohl sie das vielleicht gerne möchten. Deshalb pendeln sie mit dem Auto zur Arbeit, wodurch mehr Staus entstehen. Das zeigt, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen der Probleme auf dem Wohnungsmarkt groß und weitverzweigt sind. Nicht zuletzt deshalb möchte die Rabobank zu einer Lösung beitragen.“

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Probleme auf dem Wohnungsmarkt sind groß.
Wiebe Draijer
Vorstandsvorsitzender Rabobank

Warum hat die Rabobank einen eigenen Gebietsentwickler?

„Die Rabobank verfolgt auf dem Wohnungsmarkt soziale Ziele, die wir ohne einen Gebietsentwickler wie BPD nicht verwirklichen können. 2019 haben wir den BPD Woningfonds ins Leben gerufen. Dieser Fonds wird in den nächsten zehn Jahren in den Niederlanden 15.000 energieeffiziente, mittelpreisige Mietwohnungen auf den Markt bringen. Die Mieten dieser Wohnungen werden im mittleren Bereich von 650 Euro bis 1.250 Euro pro Monat liegen. Es handelt sich vor allem um Etagenwohnungen und Einfamilienhäuser für Singles, Familien und selbstständig wohnende Senioren. Sie werden in attraktiven Wohnlagen in urbanen Gebieten innerhalb und außerhalb der Randstad, des größten Ballungsgebietes der Niederlande, gebaut. Gerade solche bezahlbaren Mietwohnungen sind sehr gefragt. So wollen wir helfen, die Lücke zwischen sozialem Wohnungsbau und den teuren Mieten auf dem freien Markt zu schließen. Der Fonds legte Anfang 2020 mit dem Kauf der ersten 1.000 Wohnungen, von denen 500 gleich vermietet wurden, einen gelungenen Start hin. Im Februar begann das erste Anmeldeverfahren für 45 neue Mietwohnungen in Waddinxveen und im Juni zogen die Mieter ein.“

Warum folgt keine andere Bank diesem Beispiel? Sehen sie Vorteile, die die anderen nicht sehen?

„Für eine Bank, die vor allem kurzfristiges Gewinnstreben im Blick hat, liegt ein eigener Gebietsentwickler nicht auf der Hand. Denn dabei geht es per Definition um Renditen mit einem langfristigen Anlagehorizont. Als Genossenschaft mit Mitgliedern anstelle von Aktionären ist die Rabobank weniger kurzfristig orientiert als viele andere Banken. Wir sehen gesellschaftliche Probleme, zu deren Lösung wir beitragen wollen. Wir gehen also nicht in erster Linie nur von der Rendite aus, sondern mehr von den Problemen, die wir angehen wollen. In den Niederlanden gibt es etwa drei Millionen Haushalte mit mittlerem Einkommen. Sie könnten keine bezahlbare Wohnung finden, wenn sie jetzt eine suchen würden. Eines unserer Ziele ist, dieses Problem zu beheben, indem wir unter anderem für bezahlbare Wohnungen für Durchschnittsverdiener sorgen. Das führt langfristig zu Wertschöpfung. Um auf die Frage zurückzukommen: Wenn andere Banken besser über unsere Aktivitäten im Bilde wären, würden sie vermutlich nur allzu gerne einen eigenen Wohnungsfonds haben wollen.“

Besteht darin der Vorteil einer Genossenschaftsbank?

„Ja. Wir haben nicht den Druck von Aktionären, die ständig auf Gewinnmaximierung pochen. Natürlich muss die Rabobank Gewinn erwirtschaften, beispielsweise um weiterhin Investitionen tätigen zu können. Aber wir können Entscheidungen treffen, die auf die fernere Zukunft abzielen. So gehen wir keine Darlehen mit hohem Risiko ein, die viel Gewinn abwerfen können. Investitionen müssen zu den gesellschaftlichen Themen passen, die wir relevant finden. Eines dieser Themen ist die Hilfe für benachteiligte Gruppen wie Alleinstehende und Senioren. Auch sie müssen Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Gesellschaft als Ganzes davon profitiert, wenn bei den gewählten Lösungen alle Gruppen berücksichtigt werden. Ein anderes Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen, ist Nachhaltigkeit im Wohnungsmarkt. Wir wollen dazu beitragen, dass die Niederlande die Klimaziele von Paris erreichen. Diese schreiben vor, dass die CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte reduziert werden müssen und bis 2050 sogar um 95 Prozent. Wir helfen unseren Kunden mit unterstützenden Maß- nahmen, praktischen Lösungen und Finanzierungsangeboten bei Nachhaltigkeitsmaßnahmen an ihrem Haus. Wir stehen ihnen als zuverlässiger Partner zur Seite, beispielsweise wenn es darum geht, dass Städte und Bewohner von mit Erdgas beheizten Häusern auf nachhaltigere Alternativen umsteigen wollen. Unser Ziel für 2030 lautet: ein Portfolio mit im Durchschnitt Energieeffizienzklasse A. 2025 wollen wir Energieeffizienzklasse B erreichen. Als ersten Schritt wollen wir mindestens 50.000 Kunden zwei Klassen höher steigen lassen.“

Wiebe Draijer, Vorstandsvorsitzender der Rabobank
Foto: Erik Smits
Wie sehen sie die Wertschöpfung für die Rabobank und für BPD?

„Die Finanzinstitute führen einen starken Konkurrenzkampf und die Zinsen sind niedrig. Wir sind davon überzeugt, dass Wertschöpfung vor allem bei den treuesten Kunden zu finden ist, also bei denen, die Kunde bleiben, ganz gleich, was geschieht. Sehr viel von dieser Treue entsteht vor allem in Zeiten, in denen es die Menschen in ihrem Leben nicht leicht haben. Das ist oft am Anfang ihrer ‚Wohnkarriere‘, wenn ihr Einkommen noch nicht hoch genug ist, oder bei einer Entlassung oder wenn das Einkommen aus anderen Gründen plötzlich wegfällt. Viele Hauseigentümer geraten dann nach ein paar Monaten in finanzielle Schwierigkeiten. Wir lassen sie nicht fallen. Wenn es gelingt, Menschen in einer solchen Lage zu helfen, beispielsweise mit einer befristeten Aussetzung der Hypothekenzahlungen, bleiben sie ihr Leben lang treue Kunden.“

Wertschöpfung ist vor allem bei den treuesten Kunden zu finden.
Wiebe Draijer
Vorstandsvorsitzender Rabobank

Warum sind sie sich da so sicher?

„Wir untersuchen das natürlich. Aber ich beziehe mich vor allem auf eigene Gespräche mit Kunden, auf die Gründe, die sie für ihre Treue zur Rabobank nennen, auch wenn ein anderer Anbieter vielleicht ein bisschen günstiger ist. Darum will ich am liebsten alle unsere 8,2 Millionen Kunden auch zu Mitgliedern der Genossenschaft Rabobank machen. Die Mitgliedschaft ist für mich der ultimative Ausdruck der gegenseitigen Verbundenheit, der zeigt, dass sich zwischen der Bank und dem Kunden mehr abspielt als nur ein Finanzgeschäft. Wenn die Mieter zugleich Mitglieder sind, können wir ihnen beispielsweise zu einer neuen Wohnung verhelfen, indem wir Nachfrage und Angebot miteinander abgleichen. Eine andere Möglichkeit sehe ich in Mietkaufkonstruktionen. Dabei beginnt der Kunde in einer Mietwohnung und kauft sich gewissermaßen in die Wohnung ein. Soweit ist es aber noch lange nicht. Wir haben bislang 1,2 Millionen Mitglieder.“

Die Rabobank ist im Agrarbereich die größte Bank der Welt. Sie wollen auch auf dem Immobilienmarkt groß werden. Beißt sich das nicht?

„Nein, die beiden Elemente lassen sich oft kombinieren. Eines der schönsten Beispiele ist, wie ich finde, dass wir regelmäßig Energiegenossenschaften finanzieren. Diese Genossenschaften beziehen den Strom immer häufiger von Landwirten, die zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie erzeugen. Die Energie wird oft innerhalb der Region verbraucht. Das ist ein Beispiel für ein Ineinandergreifen von Landwirtschaft und Wohnungsbau.“

Wenn die Landwirtschaft für Wohnungsbau Platz machen muss – was angesichts der Nachfrage nach Wohnraum unvermeidlich scheint –, entsteht aber doch ein Konflikt?

„Das wird in der Diskussion oft als Konflikt bezeichnet. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus, wie ich aus Erfahrung weiß. Die Rabobank kennt sich sowohl im Agrarbereich als auch im Wohnungsmarkt gut aus. Dadurch können wir Angebot und Nachfrage miteinander verbinden. Wir kennen die Landwirte, die gern aus ihrem Betrieb aussteigen würden, es aber nicht können – beispielsweise weil sie keinen Nachfolger haben –, und wir kennen die Landwirte, die ihren Betrieb vergrößern wollen. Außerdem wissen wir, wo Dörfer und Städte Neubauwünsche haben, aber an ihre Grenzen stoßen. Die Rabobank kann in solchen Situationen als Mittler fungieren. Ich will nicht leugnen, dass gegensätzliche Interessen auftreten können. Aber BPD beweist seit Jahrzehnten, dass sie zusammen mit den Beteiligten gute Lösungen finden können.“

Wiebe Draijer, Vorstandsvorsitzender der Rabobank
Foto: Erik Smits
Hat sich das Image von Genossenschaften verändert?

„Ich sehe deutlich mehr Wertschätzung für das gemeinsame Lösen von Problemen. In den letzten fünf Jahren gab es einen exponentiellen Anstieg bei den genossenschaftlichen Initiativen. Das liegt, denke ich, daran, dass Genossenschaften nicht nur gewinnorientiert sind, sondern auch soziale Ziele verfolgen. Damit identifizieren sich nicht nur Kunden gern, sondern auch die Mitarbeiter. Und ich natürlich auch. Ich bin bis in die Haarspitzen motiviert, mit den Talenten, die mir gegeben sind, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Das kann Nachhaltigkeit sein, aber auch die Förderung der Fähigkeit zur Selbsthilfe bei Menschen. Das war schon immer meine Überzeugung. In diesem Unternehmen kann ich zu einer besseren Welt beitragen. Bei einer anderen Bank wäre das nicht möglich.“

Wir gehen nicht in erster Linie nur von der Rendite aus, sondern mehr von den Problemen, die wir angehen wollen.
Wiebe Draijer
Vorstandsvorsitzender Rabobank

2020 wird als Jahr der Corona-Krise in die Geschichte eingehen. Erwarten Sie dauerhafte Auswirkungen auf unsere Gesellschaft?

„Ja, ich denke, dass Wohnen und Arbeiten nicht mehr so streng getrennt sein werden wie früher. In den letzten Jahren war das Arbeiten von zu Hause ein wenig im Rückzug, auch wegen der agilen Arbeitsformen, bei denen die Teams gern miteinander in einem Raum arbeiten. Diese Krise hat gezeigt, dass sich diese neue Arbeitsweise sehr gut mit Homeoffice kombinieren lässt. Ich denke, dass wir in Zukunft zu Hause vor allem Routinearbeiten erledigen werden. Für die kreativen Prozesse und die Managementaufgaben gehen wir dann ins Büro.“