Wir bestimmen selbst, wie die Zukunft aussieht

Tessa Cramer ist davon überzeugt, dass die komplexen Themen dieser Zeit sich nicht mit bestehenden Systemen und Denkweisen lösen lassen. Der Futuristin zufolge brauchen auch nicht alle Pläne von vornherein komplett festzustehen. Besser nicht sogar. „Wir sollten etwas mehr Ungewissheit zulassen.“
  • Datum der Veröffentlichung: 9 Dezember 2022
  • Autor: Tessa Cramer | BPD Magazin Nr. 16
  • Verwandte Seite: Ganzheitliche Konzepte
BPD Magazin Nr. 16

Woran denken wir, wenn wir an die Zukunft denken? An fliegende Autos, hypermoderne Wolkenkratzer und Roboter? An eine Welt, die von Kriegen, Klimawandel und Pandemien heimgesucht wird? Oder vielleicht sehen wir die Zukunft viel rosiger vor uns; als eine Welt, in der wir auf nachhaltige und friedliche Weise zusammenleben können – mit Respekt füreinander und für die Natur. Was all diese Bilder verbindet, ist, dass wir die Antwort einfach nicht kennen. Die Zukunft ist schließlich nicht greifbar und ungewiss. Als Futuristin versuche ich daher nicht, die Zukunft vorherzusagen, wie manche glauben mögen. Vielmehr versuche ich höchstens, einen Zipfel des Schleiers in Richtung Zukunft zu lüften.

BPD Magazin 16 Essay Cramer
Fotos: Janita Sassen
Mit Ungewissheit umgehen

Die Konstante dabei ist die Ungewissheit. Unser Umgang mit dieser Unsicherheit ist eine der Fragen, die mich faszinieren. Wie können wir die Zukunft trotz all dieser Unsicherheitsfaktoren dennoch aktiv in unser Leben einbinden? Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass wir zum Großteil selbst bestimmen, wie unsere Zukunft aussieht. Eine meiner Lieblingsaussagen stammt von der amerikanischen Schriftstellerin Annie Dillard, die sagte: „How we spend our days is how we spend our lives. What we are doing with this hour, and that hour, is what we are doing.“ Was essen wir, was sehen wir uns an, was lesen wir? Es sind die Entscheidungen, die wir heute treffen – so klein sie auch sein mögen – mit denen wir die Zukunft gestalten. Wir sehen uns einer Wohnungskrise enormen Ausmaßes gegenüber, mit über 300.000 Wohnungssuchenden und einem Wohnungsmarkt, in dem die Preise und Mieten immer weiter steigen. Nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in anderen europäischen Ländern ist der Wohnungsmangel ein großes Problem. Müssen wir dann zwingend bauen, bauen und nochmals bauen? Das scheint die logische Lösung zu sein, doch diese geht von der Annahme aus, dass das Morgen genauso aussieht wie das Heute. Die Futuristen bezeichnen dies als lineares Denken. Bekommen wir jedoch damit die Wohnungen, die die Menschen wirklich brauchen? Bedürfnisse sind keine feststehende Größe – sie ändern sich je nach Person, Lebensabschnitt und Zeit.

Gebt der Ungewissheit mehr Raum.
Tessa Cramer
Dozentin für „Designing the Future“ an der Fontys Hogeschool

Die Zukunft selbst gestalten

Statt dieser Ungewissheit aus dem Weg zu gehen, können wir sie auch kultivieren, vielleicht sogar willkommen heißen. Dazu müssen wir uns regelmäßig die Frage stellen: Was ist wirklich wichtig? Auf den ersten Blick eine einfache Frage, doch sie zwingt uns zum Innehalten und zur Reflexion. Wir müssen mehr Wohnungen bauen. Außerdem wollen wir, dass die Menschen gut wohnen, in Wohnungen, die ihren Wünschen entsprechen, und an Orten, an denen ein gutes Zusammenleben möglich ist. Was brauchen wir dafür? Kürzlich sprach ich mit einem Raumplaner über Wohnungen, bei denen alle Wände flexibel waren und sich an die Wünsche der Bewohner anpassen ließen. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer: Alles war veränderbar, nichts stand fest. Das ist vielleicht nicht die einzige Lösung, aber wohl ein schönes Beispiel dafür, wie man die Unbestimmtheit manchmal – buchstäblich – selbst in die Hand nehmen kann. Tag für Tag haben wir die Möglichkeit, die Zukunft selbst zu gestalten. Wir sollten versuchen, das lineare Denken hin und wieder loszulassen und der Ungewissheit mehr Raum zu geben. Das kann zu wertvollen neuen Erkenntnissen führen.

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